neunundzwanzigster tag

 Wir sind früh wach und rollen schon um zehn vor sechs vom Hof. Alle schlafen noch. Es war ein gutes Quartier, diesmal ohne „Familienanschluss“, aber trotzdem wunderbar.

In meine durchsichtige Kartentasche habe ich für heute zwei Karten gesteckt. Noch 12km auf der einen, dann „fahren“ wir schon auf der drittletzten Karte auf deutscher Seite. Ganz stimmt es nicht, eigentlich habe ich noch vier, aber die vierte dient nur der besseren Übersicht und ist sozusagen doppelt: es ist meine letzte Karte mit dem komfortablen Maßstab 1:50 000.

Die beiden letzten vor der Grenze sind Radwanderkarten und haben den Maßstab 1:75 000. Damit bin ich auch schon gefahren, und hier ohne Berge geht es auch ganz gut. Lieber mag ich trotzdem die anderen.

 

Bruno geht flott vorwärts und in weniger als zwei Stunden ist die eine Karte „abgearbeitet“. Zügig erreichen wir auch den zweiten Ort auf der neuen Karte. Dann habe ich einen Nebenweg gewählt, der nach ca. 1km wieder groß auf der Karte eingezeichnet ist. Es ist ein gut befestigter, aber nicht asphaltierter Weg. Diese Wege gefallen uns allen gut. Wir sind schon eine ganze Weile auf diesem Weg, als ein umgekippter Baum den Weg versperrt. Er ist aber nicht so groß und lässt sich leicht aus dem Weg ziehen. In kürze müsste ich den größeren Weg erreichen. Dann liegt ein weiterer Baum im Weg. Es ist die Baumkrone, die den Weg versperrt. So kommt zum ersten Mal meine kleine Säge zum Einsatz. Es dauert nicht lange, und der Weg ist wieder frei. Meine treuen Wegbegleiter stehen währenddessen ganz brav und warten. Sie sind sooo toll!!!

 

Es ist vermutlich der Übergang zu dem „größeren“ Weg, der auf der Karte genauso eingezeichnet ist, wie alle normalen kleinen Straßen, die zwei Dörfer verbinden, der sehr ausgefahren und tief ist. Bruno kämpft sich ohne zu klagen hindurch und der tiefe Boden ist vorbei. Doch dann ist der Weg ganz schön zugewachsen. Ich habe Mitleid mit der Plane. Laut streichen die Äste daran vorbei. Sicher ist es für Bruno anstrengend, den Planwagen gegen den Widerstand der Büsche und Bäume zu ziehen. Er ist soooo großartig!!! Dann wird der Weg zu einer unbeschreiblichen Katastrophe. Ich bin sozusagen im Dschungel, drehen unmöglich, trotz bestem Pferdchen und rangierfreudigem Wagen. Ich steige ab und prüfe, ob ich nach rechts oder links auf die Maisfelder ausweichen kann. Das ist keine gute Lösung, aber ich stecke richtig fest. Der Übergang zum Maisfeld nach links ist abenteuerlich, aber mit gutem Pferd und geländegängigem Wagen – und Bruno sowie mein Planwagen sind nicht nur gut sondern großartig – sicher zu meistern. Mit doppelt schlechtem Gewissen (Bruno und dem Landwirt gegenüber) fahren wir eine Zeit über das Maisfeld. Wann immer möglich, wechseln wir zurück auf den „Weg“. Das ist allerdings immer abenteuerlich und sehr anstrengend für meinen lieben Bruno. Er hat für heute wieder eine eins mit der maximalen Anzahl von Sternchen verdient, die überhaupt nur möglich sind!!

 

Wenn wir über den Acker fahren, sagt er oft, es ist zu anstrengend und trabt oder galoppiert, damit der im tiefen Boden schwere Planwagen besser rollt.

 

Dann, endlich, ist es geschafft. Die Zivilisation hat uns wieder. Von dieser Seite wäre ich niemals auf die Idee gekommen, diesen Weg zu nehmen. Selbst als Reiter, ohne Kutsche, wäre er nicht attraktiv, weil er soo zugewachsen ist. Ich bin Bruno seeehr dankbar, dass er das sooooo brav gemacht hat!!

 

Nun kommen wir nach Kehrberg. In den Dörfern davor habe ich schon auf Plakaten gelesen, dass dort an diesem Wochenende die 680 Jahrfeier ist. Von Weitem höre ich einen Spielmannszug, ähnlich wie auf Schützenfesten. Mein lieber Bruno mag sie nicht so sehr, ich habe ihn nie daran gewöhnt und so findet er die Musik einfach zum Fürchten. An den Straßenrändern sitzen und stehen links und rechts viele Menschen. Ein Umzug mit vielen alten Trabbis ist noch in vollem Gange. Ich traue mich nicht weiter zu fahren und beobachte das Geschehen aus der Ferne. Ein Feuerwehrfahrzeug steht in unserer Nähe. Ich frage den Feuerwehrmann, ob es einen anderen Weg durch das Dorf gibt. Nein, nur die eine Straße, aber es dauere nicht mehr so lange, der größte Teil des Umzugs sei schon vorbei. Andere Leute bei mir fragen, woher ich komme und wohin ich möchte. Beeindruckt von der großen Tour bringt mir eine junge Frau zwei Brötchen und ein großes, frisches Brot. Für die lange Reise... Wieder einmal total nett!!

 

Dann ist der Umzug vorbei, die Musik hat aufgehört, durch das Mikro wird noch per Lautsprecher gesprochen. Während ich näher fahre, bitte ich mehrfach: Kein Mikro bitte! Das Mikro verstummt. Als ich schon vorbei bin, höre ich mit Flüsterstimme durch den Lautsprecher: Ich muss ganz leise sprechen, damit das Pferd sich nicht erschreckt. Ganz knuffig! Wir sind schon weit genug weg, Bruno macht es nichts mehr aus.

 

Einige Leute haben mich gefragt, ob ich nicht bleiben möchte und mitfeiern, aber da alle Einwohner ausnahmslos am Fest teilnehmen und niemand zu Hause ist, wäre die Quartiersuche wenig erfolgreich.

 

Wir fahren an vielen liebevoll gestalteten Skulpturen o.ä. aus vergangener Zeit vorbei. Sie sind hübsch anzusehen, die Leute haben sich wirklich Mühe gegeben. Vor fast jedem Haus ist etwas zu bewundern.

 

Im nächsten Ort Schönebeck möchte ich eine lange Rast machen, um dann am späten Nachmittag vielleicht noch wenige Kilometer weiter zu fahren. Ein Autofahrer spricht mich auf mein „schönes Gespann“ an. Ich nutze die Gelegenheit und frage, wo ich denn wohl auf einer Wiese Pause machen könne und einen Eimer Wasser für das Pferd bekomme. Er habe auch Pferde, ich solle zu ihm fahren. Eine kurze Wegbeschreibung folgt. Sie war so schnell daher gesagt, so dass ich unterwegs noch einmal nachfragen muss. Dann habe ich die richtige „Einflugschneise“ gefunden und werde schon von seiner Frau erwartet. Sie leben am Wald, auf dem Gelände laufen Gänse, Hühner und Enten in allen Größen herum. Dazu drei Dackel, offensichtlich in drei Generationen. Ein Kälbchen ist auf der Wiese angepflockt und Schweine grunzen im Stall. Auf einer Wiese laufen ihre beiden sehr schicken Reitponys. Sie sehen mit den edlen Köpfchen mit Stern, der langen Wuschelmähne und dem glänzenden lackschwarzen Fell aus wie Black Beauty in klein.

 

Bruno darf aus einer großen Wassertonne trinken, anschließend bringe ich ihn in den Stall. Er bekommt Heu, aber ich bin nicht ganz glücklich, denn der Stall wird nicht täglich gemistet und die Luft ist etwas stickig. So darf ich gerne ein großes Stück Wiese abtrennen, in der Nähe des Kälbchens. Das ist prima, das Gras steht hoch.

 

Ich werde ins Haus zum Mittagessen eingeladen. Astrid und Torsten sind sehr nett und überlegen, wo ich denn heute Abend ein Quartier finden könnte. Mehrere Möglichkeiten werden diskutiert, aber ich möchte nicht mehr weit fahren, höchstens noch eine Stunde. Astrid bietet mir an, sonst doch einfach zu bleiben. Ich schaue noch einmal zu Bruno. Oh Schreck, sein linkes Vorderbein ist dick und warm. Er geht aber klar; lahmt nicht. So ein Mist!!! Das war sicher der tiefe Boden im „Dschungel“. Es ist nicht die tiefe Beugesehne, sondern vorne der untere Teil des Röhrbeins, der dick ist. Und ausstrahlend seitlich das Fesselgelenk, das ist auch dick. Heute geht es nicht mehr weiter, das ist klar. Ich frage vorsichtig, ob wir auch zwei Tage Asyl bekommen können? Ja, natürlich! DANKE!!!!!

 

Ich mache mir große Sorgen und Vorwürfe, aber das hilft ja alles nichts. Natürlich ist Samstag, da ist es auch mit Tierärzten nicht so toll. Und ein Notfall ist das auch nicht, zumal Bruno – zumindest bis jetzt – keine Lahmheit zeigt.

 

Ich entscheide mich zu Kühlen und Equipalazone zu geben, das wirkt entzündungshemmend, somit auch abschwellend und schmerzlindernd. Wenn es morgen nicht besser ist, werde ich am Montag einen Tierarzt zu Rate ziehen.

 

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